11. Februar versus 11. September

Der 11. Februar 2011. das ägyptische Volk und unmittelbar danach das tunesische Volk, vertreiben ihre Diktatoren von der Macht. Diese historischen Ereignisse markieren das Ende eines unheilvollen Jahrzehntes, eingeleitet durch die Attentate des 11. Septembers 2001.

Der 11. Februar erscheint nämlich wie das verkehrte Spiegelbild des 11. Septembers: er verkörpert den Sieg des Mutes über die Angst, der Hoffnung über den Fatalismus, der Bewunderung über die Geringschätzung und der Freundschaft über den Hass.

Die Attentate auf New York und Washington schürten die Angst in der Welt, wobei viele sich fragten, wo die Grenzen des Fundamentalismus liegen würden. Mit Besorgnis wurde erwartet, dass der Fanatismus auf ein immer stärker werdendes Echo in den arabischen Ländern stoßen würde. Stattdessen, durch die Ereignisse in Tunesien und Ägypten, wurden wir Zeuge des Sieges des Mutes und der Hoffnung: Mut, „Verschwinde” zu rufen und trotz der Repression standhaft zu bleiben, sowie Cäsar das bis zum Ende tat ; Hoffnung, die arabische Welt aus seiner politischen Benommenheit und aus seinem wirtschaftlichen System der Ausbeutung durch oligarchische Nutznießer aufsteigen zu sehen; Hoffnung auch, dass dadurch die arabische Welt ihre Rolle in der Umgestaltung der Völkergemeinschaft komplett ausfüllen kann und sich den damit einhergehenden Herausforderungen, die die Mobilisierung aller Energien und Talente benötigt, stellt.

Die großartige Haltung dieser Frauen und Männer allen Alters und aller sozialer Klassen, die einzig und allein mit ihrem Mut und ihrer Ausdauer die Geschichte verändern, verlangt uns den größten Respekt und eine gewaltige Bewunderung ab. So können schon nur wenige Tage das immer noch oft anzutreffende Gefühl herablassender Überheblichkeit bezwingen. Ja, die Araber sind fähig „nein“ zu sagen; Ja, auch sie sind trotz ihres angeblichen Fatalismus fähig, Großes zu leisten, sowie 1789 oder 1848, sowie die Nelkenrevolution, der Fall der Berliner Mauer oder der Samtenen Revolution… Die tunesische und ägyptische Revolution gliedern sich vollständig in diese glänzende Ahnenreihe bedeutender Ereignisse ein und vereinen so die arabische Welt mit Europa durch eine gemeinsame historische Dynamik. Die der Freiheit und der Menschenrechte.

Um also diese schöne Entwicklung von der Überheblichkeit in Richtung Bewunderung zu unterstreichen, sollten wir von nun an nicht mehr nur von „dem arabischen Weg“ sprechen. Dieser prachtvolle Weg nämlich hat uns bewiesen, dass er das Mittel ist, das der „öffentlichen Meinung“ wahrhaftig Ausdruck verleiht und dieser auch gerecht wird. Sprechen wir deshalb lieber von „dem europäischen Weg“, als Huldigung an die Avenue Habib Bourguiba und an den Mīdān at-Tahrīr(Platz der Befreiung)und an das für die Demokratie vergossene Blut der arabischen Märtyrer[1].

 

So wie die Liebe nur einen Sprung von der Bewunderung entfernt liegt, ist in vielen europäischen Herzen, das aus den Septemberattentaten folgende Misstrauen der Zuneigung gewichen. Wessen unreflektiertes Weltbild wäre nicht erschüttert, nachdem die Kopten sich geschlossen zum Schutz der im Gebet befindenden Muslime zwischen diese und die Polizei stellten ?

Mit seinem 11. September, das Ende des Sommers 2001 kündigte den Winter an: Erstarrung der Geister, Erstarrung der Herzen, angetriebenvon denen, die zum Kampf gegen „das Böse“ aufriefen. Die Folge, ein Krieg im Irak mit katastrophalem Ausgang. Mit seinem 11. Februar, der Winter 2011 kündigt das Auftauen, endlich, und damit ein neuer Frühling der Völker an.

Den jungen Arabern, besser ausgebildet und qualifiziert (oft mit Diplomabschluss)und vernetzt mit der Welt durch moderne Technologien, stehen nunmehr andere Methoden, als die der terroristischen Gewalt, zur Verfügung.

Es liegt nun an uns Europäern, diese tugendhafte Entwicklung zu begleiten, ohne jedoch unseren eigenen Schuldanteil zu vergessen, der in der Duldung und Unterstützung der autokratischen und räuberischen Regime für einen so langen Zeitraum und im Mangel an Investitionen in den zivilen Sektor liegt. Achten wir also darauf, dass sich die arabischen Revolutionen des Jahres 2011 nicht genau so entwickeln, wie diejenigen der europäischen Revolutionen des Jahres 1848, die damals mit ihren Demonstrationen und auch in ihrer Wirkung vergleichbar gewesen sind: ein entscheidender Schritt in Richtung Freiheit, gefolgt von zahlreichen Rückwärtsbewegungen.

Philippe Mazuel, 15. Februar 2011

Übersetzt aus dem Französischen ins Deutsche von Philipp V. Norz



[1] Einige französische Journalisten benutzen immer noch den Ausdruck “der arabische Weg” anstelle von „der arabischen öffentliche Meinung“ zu sprechen. Die Partei der europäischen Bürger/innen (PACE) versteht ersteren Begriff als (unabsichtlich) verachtend.